Arme-Leute-Essen – Was ist das eigentlich?

Manche Speisen gelten als besonders delikat und sind daher von den Speisekarten guter Restaurants kaum noch wegzudenken. Oft ist die Wurzel der Gerichte eine Speise, die früher als „Arme Leute Essen“ verspottet wurde. Wir beschäftigen uns mit den Wurzeln der Rezept-Klassiker von Pizza bis zur Bouillabaisse und forschen nach, was Arme-Leute-Essen eigentlich ist.

Arme-Leute-Essen im Wandel der Zeit

Wie der Name schon verrät, werden Speisen als Arme-Leute-Essen bezeichnet, die von den Ärmeren in der Bevölkerung gegessen werden. In früheren Zeiten galten die Gerichte als Arme-Leute-Essen, in denen Reste verwertet wurden.

Der Zusammenhang erscheint logisch: die reicheren Bevölkerungsschichten hatten es schlicht nicht nötig, Essen zu verwerten. Für die Armen der Gesellschaft war es aus rein ökonomischen Gründen auch wichtiger, essen zu konservieren – auch aus dieser Praxis ergaben sich Gerichte, die heutzutage als völlig selbstverständlich oder gar als Delikatesse gesehen werden. Um einen erschwinglichen Preis erzielen zu können, spielte früher, in Zeiten in denen Kühlschränke oder gar Kühltransporte rar gesät waren, auch die geographische Lage der Zutaten eine große Rolle: Während für die Menschen in Küstenregionen Austern ein Arme-Leute-Essen darstellten, wurden die Muscheln im Landesinneren schon als Delikatesse gefeiert.

Gleiches galt übrigens für schwarzen Kaviar, der von Fischern an der Wolga und am Kaspischen Meer gegessen wurde. Die Zeit der Austern als Arme-Leute-Essen endete übrigens mit der industriellen Revolution: Verschmutzte Gewässer verdarben die Muscheln, Austern in guter Qualität waren nun auch für die Fischer schwer zugänglich und dementsprechend teuer. Auch Hummer galt bis ins 19. Jahrhundert als Arme-Leute-Essen – in manchen amerikanischen Kolonien soll es sogar verboten gewesen sein, Gefängnisinsassen mehr als drei Mal pro Woche Hummer zu servieren. Auch heutzutage orientiert sich Arme-Leute-Essen an dem, was möglichst günstig und immer verfügbar ist.


Dabei sind in unserer Zeit nicht nur Konserven viel billiger als frisches Gemüse, sondern oftmals auch Wurstwaren und „gestrecktes“ Fleisch wie Formvorderschinken. Arme-Leute-Essen präsentiert sich heutzutage also oft als Konglomerat verschiedener Billigwaren oder direkt als Fertig-Essen. Aber wer weiß? Vielleicht werden Nudeln mit Erbsen aus der Dose, Fleischwurst und Gewürzmischung im nächsten Jahrhundert der Star der Luxus-Speisekarten.

Gerichte, die auf Resteverwertung basieren

Eine beliebte Methode, Reste zu verwerten, war das Backen der Reste auf oder zusammen mit Teig. Aus dieser Art der Resteverwertung ist nicht nur die Pizza in Italien und der Lahmacun im Nahen Osten hervorgegangen, sondern auch die französische Quiche.

Kaum zu glauben, dass dieser Klassiker einmal in der hohen Küche verpönt war! Um Essensreste nicht zu verschwenden, wurden sie auch in Eintöpfen und Pfannengerichten zusammengeworfen. So ist nicht nur die Paella, Gulasch oder Linseneintopf entstanden, sondern auch die Bouillabaisse: Französische Fischhändler haben die Fischreste, die am Abend an den Verkaufsständen der Stadt Marseille übrigblieben, zusammen eingekocht. Übrigens sind auch die beliebten Bruschette aus Resteverwertung entstanden: Hier wurde trockenes Brot vom Vortag aufgewertet.

Gerichte, die auf Konservierung basieren

Das beste Beispiel dafür, wie aus den Techniken der ärmeren Bevölkerungsschichten heute alltägliche Kombinationen entstehen, ist die Kombination aus Zitrone und Fisch. Die Zitrone schmeckt nicht nur fantastisch zu Fisch und Meeresfrüchten, ihre Säure hält den Meeresbewohner außerdem länger frisch.

Im Fernen Osten, entlang des Flusses Mekong, war es vor den Zeiten des Kühlschranks üblich, den Fisch in gesäuerten Reis eingewickelt zu lagern – heute ist diese auf Konservierung basierende Zubereitung als Sushi weltbekannt. Auch Speisen die in Öl eingelegt werden, sind heute nicht mehr aus dem Repertoire der mediterranen Küche wegzudenken, wie etwa Artischocken oder Fischfilets in Öl. Auch die Methode des Räucherns zum Konservieren brachte schon Delikatessen hervor – Räucherschinken oder Scamorza sind da nur einige Beispiele.

Spirituosen

Früher von Bauern aus einfachen Zutaten zu Schnaps gebrannt und als „Pennerglück“ verlacht, sind manche Spirituosen zu echten Gourmet-Getränken avanciert: Hinter dem Trendgetränk Gin steckt Wacholderschnaps, Grappa wird aus Most und Wodka aus Kartoffeln gewonnen. Nur durch die Hingabe der Produzenten und stetig besser werdenden Produktionsverfahren sind aus den früheren Bauernschnäpsen hochwertige Spirituosen geworden.

Die Rückkehr der Gemüsesorten

Es gibt auch Gemüsesorten, deren Ruf massiv gelitten hat. Schuld daran sind meistens Nachkriegszeiten oder Wirtschaftskrisen, denn Gemüse wie Steckrüben waren dann meistens das einzige Grundnahrungsmittel. Auch andere Kreuzblütler wie etwa Speisekohl-Sorten wie Grünkohl haben einen Imageschaden erlitten. Mit einem steigenden Anteil von Veganern und Vegetarier in der Bevölkerung erlebt Kohl nun aber eine Renaissance, denn Kohl steckt voller gesunder Nährstoffe und kann auch noch im Winter aus regionalem Anbau erworben werden.

Ein anderes Kraut mit gewandeltem Image ist außerdem Rauke, ein Unkraut, welches zum Beispiel in Mauerritzen wächst. Dieses Unkraut erlebte eine Steigerung der Beliebtheit, als die mediterrane Küche in Deutschland Einzug gehalten hat – heute wird Rauke als Rucola verkauft und ist aus vielen Salatzubereitungen gar nicht mehr wegzudenken.

Es ist eine Delikatesse, was exotisch ist

Übrigens spielt auch die Exotik der Speisen eine Rolle in der Auffassung darüber, was eine Delikatesse und was ein Arme-Leute-Essen ist. Während zum Beispiel Europäer Südfrüchte als exotisch betrachten, gelten in tropischen Gebieten Äpfel als exotisch – die hierzulande als langweiliges Standard-Obst gesehen werden. Ähnlich verhält es sich mit exotischen Fleisch-Spezialitäten: Während hierzulande zum Beispiel Känguru-Fleisch nur in exotischen Restaurants angeboten wird, sind Kängurus in Australien eine regelrechte Landplage und das Fleisch günstiger als Rindfleisch.

Die mediterrane Küche: Arme-Leute-Essen par excellence

Zusammenfassend stellt sich die Arme-Leute-Küche also so dar: Es wird gekocht was in hoher Anzahl verfügbar, leicht zuzubereiten, günstig ist und satt macht. Wie bereits deutlich geworden ist, ist das in den seltensten Fällen schlecht. Ganz im Gegenteil: Wird regionales Gemüse verwendet, sind die Gerichte meistens voller Geschmack und sehr gesund.

Darüber hinaus wird wegen kurzer Transportwege auch die Umwelt geschont. Hält man sich an die Definition von dem, was „Arme Leute Essen“ ausmacht, ist übrigens die mediterrane Küche der Inbegriff dieses Speise-Typus. Denn hier wird das verarbeitet, was in der Region wächst: saftige Tomaten, frische Auberginen und Zucchini, Artischocken und Oliven, dazu bestes Olivenöl und jede Menge frischer Kräuter.

Auch die Grundlagen der Gerichte sind aus einfachen Zutaten gemacht: Pizzateig etwa besteht lediglich aus Mehl, Wasser und Hefe, Pasta allein aus Wasser und Hartweizengrieß. Das Ergebnis schmeckt, wie die Freunde der mediterranen Küche bereits wissen, einfach fantastisch.

So hat sich auch der Begriff Arme-Leute-Essen in seinem Verständnis geändert. Während der Begriff früher ausschließlich beleidigend und verächtlich verwendet wurde, beschreibt er heute meist Speisen, die herzhaft, regional und bodenständig sind.

Ihre Famiglia BONIVENTO wünscht Buon Appetito!